Schweres Begehren

Der Roman "Widerrechtliche Inbesitznahme" von Lena Andersson

Bei einem Setbesuch in Berlin hatte ich im Oktober 2016 Gelegenheit, mit Ruben Östlund zu Mittag zu essen und über seinen Film The Square zu sprechen, der in Cannes nun mit der Goldenen Palme ausgezeichnet wurde. Er erwähnte damals auch ein Buch, das ihn für das Drehbuch inspiriert hatte: Widerrechtliche Inbesitznahme von Lena Andersson. Ein Roman über eine Journalistin, die sich beruflich einem Großkünstler nähert, und die ihm verfällt.

Hugo Rask heißt der Künstler, er arbeitet in seinen „zivilisationskritischen Videoprojekten ... mit beweglichen Bildern und Texten in einer Kombination, die als grandios und persönlich zugleich galt“. Ester Nilsson soll über ihn einen Vortrag halten, und schon ihre Beschäftigung mit ihm, bevor sie ihn persönlich kennt, ist von „schwerem Begehren“ geprägt. Die erste Begegnung steht dann auch im Zeichen eines großen Wortes: „Die Wahrheit. Die suchen wir beide. Sie und ich. Nicht wahr?“ „So ist es wohl“, sagte sie.

Das Buch war in Schweden ein großer Erfolg, die Autorin ist als Literaturkritikerin bekannt, sie war also hinter der Figur von Ester Nilsson auszunehmen, und auch bei Hugo Rask konnte das Publikum an eine Persönlichkeit des öffentlichen Lebens denken: den Filmemacher Roy Andersson, der auf eine ähnliche Weise philosophierend arbeitet, wie man es von dem Künstler im Buch erfährt. Der scheut vor großen Themen nicht zurück, umgibt sich mit „gleichgesinnten Antikonformisten“, und tut sich auch gelegentlich durch skandalöse politische Parteinahmen hervor (für Milosevic in Jugoslawien). Ester durchschaut auch bald, dass es mit Rask als Denker nicht so weit her ist. An ihrer Verfallenheit ändert das nichts.

Es kommt, wie es kommen muss: Ester und Hugo schlafen miteinander, aber für ihn bedeutet es etwas anderes als für sie. Für sie bedeutet es nämlich alles.

Lena Andersson erzählt diese Geschichte in einer spröden Prosa so, als wäre Ester eine Art Studienobjekt, das sich selbst auch immer wieder zu einem analytischen Blick auf sich selbst und ihre Verfallenheit zu zwingen sucht, das aber dann doch an der Tatsache fast irre wird, dass Rask nicht anruft. Es gibt einige peinliche Szenen, in denen Ester ihm auflauert, ihn zu einer Auseinandersetzung zu zwingen sucht, auf die sie ein Recht zu haben meint: „Er hatte eine Verantwortung auf sich genommen, als er sich in ihren Körper begeben hatte, das habe ihr etwas vorgespiegelt, das vollendet werden müsse. Sie habe folglich Rechte, und zu denen gehöre folglich auch, seine Erklärung zu hören. Sie drehte und wendete alle Perspektiven, nur die nicht, dass sie keine Rechte hätte.“ Das naheliegende Wort, dass Ester für Hugo nämlich einfach ein Groupie war, fällt in Widerrechtliche Inbesitznahme nicht.

Das Wort wäre auch zu hart für das, was Lena Andersson mit Ester Nilsson vorhat: eine moderne Frauenfigur zu schaffen, die ein Ethos der Intimität verkörpert und auch verlangt, und die dabei noch reflektiert genug ist, zu wissen, dass sie damit auch einer „einengenden Ehrenkultur“ anhängt. Indem Esther die Unverbindlichkeit „fleischlicher Gemeinsamkeit“ nicht akzeptiert, wird sie skandalös, macht sich lächerlich, und leidet – eine moderne melodramatische Figur, die umso schwieriger auszuhalten ist, als sie einem Popanz verfällt.

Hugo Rask wird in seiner Lächerlichkeit nie vollständig bloßgestellt, während Ester wie nackt in ihrem Leiden verharrt. So taucht in einem Roman, der eigentlich die Rolle der Frau in kulturellen Machtbeziehungen zum Thema hat (und darum geht es wohl auch in Östlunds Film), ein altes Geschlechterklischee fast ungebrochen wieder auf: das der Frau, die im Zweifelsfall in ihren Gefühlen verloren geht, während der Mann seine Spielräume genießt.

Lena Andersson: Widerrechtliche Inbesitznahme. Aus dem Schwedischen von Gabriele Haefs, Luchterhand 2015 (Original 2013) - Taschenbuch bei btb

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